Rede des stellv. Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen zur erneuten Vorlage des nicht genehmigten Haushalt 2022 in der Stadtverordnetenversammlung Dillenburg vom 28.06.2022

Es gilt das gesprochene Wort

 

Sehr geehrte Frau Vorsitzende,

werte Kolleginnen und Kollegen,

nach 7 Monaten entscheiden wir heute erneut über den Haushalt für das laufende Jahr.

Das Jahr 2022 ist schon fast zur Hälfte vorbei, und es wird mit dem heute zu beschließenden Entwurf finanziell immer noch große Auswirkungen auf den Geldbeutel der Stadt haben.

In unserer letzten Haushaltsrede im Dezember des vergangenen Jahres hatte unser Fraktionsvorsitzender Christian Jung gesagt: „Wie lange die Kommunalaufsicht uns in dieser finanziellen Irrfahrt gewähren lässt, werden wir eher früher als später erfahren.“

Das – liebe Kolleginnen und Kollegen – haben wir herausgefunden: nicht lange. Mit Datum vom 1. Februar holte uns die harte, mit dem Regierungspräsidium abgestimmte Abrechnung des Landrats schon ein.

Mit einer schallenden politischen Ohrfeige, wie sie Dillenburg wohl noch nicht gehört hat – ich zitiere:

„Es ist somit festzustellen, dass das Haushaltssicherungskonzept nicht ausreichend im Sinne der Vorgaben der §§ 92 und 92a HGO ist. Aus diesem Grund hat auch das Regierungspräsidium das erforderliche Einvernehmen nicht hergestellt. Ich bitte daher um Überarbeitung des HSK und rege ergänzend an, auch die Haushaltssatzung zu überdenken und zu überarbeiten.“ Zitat Ende.

In die ohrenbetäubende Stille nach Bekanntwerden dieser Rückgabeverfügung kamen dann auch noch die Hiobsbotschaften aus dem Aquarena, wo wir mal eben weitere 4,2 Millionen Euro in die Sanierung des Daches investieren müssen.

Und das geforderte – und mit ausreichend vielen Stimmen unterstützte – Bürgerbegehren zur Stadthalle möchte zwar deren Neubau verhindern, möchte aber auch, dass wir schnellstmöglich mit einer Sanierung beginnen.

Da kann man sich nur fragen: Woher kommt jetzt plötzlich die positive Grundstimmung, die Hoffnung auf eine nun doch mögliche Genehmigung des Haushaltes?

Wenn wir uns den vorliegenden Entwurf genauer anschauen, sehen wir, dass sich im Wesentlichen drei Änderungen ergeben haben:

Erstens ist das Haushaltsjahr 2021 besser ausgefallen, als erwartet. Außerdem wurde die Schulumlage etwas gesenkt und die Steuerprognose leicht verbessert.

Zweitens haben wir durch den verspäteten Haushalt ein paar Einsparungen selbst ‚erwirtschaften‘ können: weil wir einfach ein halbes Jahr nur wenig Geld ausgeben durften, und jede Menge wichtiger Investitionen in die Folgejahre verschoben werden.

Und 3. rechnen wir jetzt für die kommenden Haushaltsjahre derart optimistisch, dass die Stadt trotz unzähliger Großprojekte sogar ein Plus erwirtschaften soll, ohne dass wir auch nur eine Steuer oder Gebühr erhöhen.

Sie merken vielleicht selbst, was ich unter diesen Punkten nicht aufgezählt habe: Wir haben auf keine einzige Ausgabe verzichtet, keine einzige Einsparung vorgenommen.

Das Haushaltssicherungskonzept vor der Rückgabe sieht genauso kümmerlich aus wie das, über das wir gleich abstimmen werden.

Auch in Summe ist die Veränderung im heute zur Abstimmung vorliegenden Haushalt sehr überschaubar:

Im Ergebnishaushalt sind es 584 Tausend, im Finanzhaushalt knapp 660 Tausend Euro, die wir gegenüber der letzten Vorlage ‚gut‘ gemacht haben.

Das bedeutet aber auch, dass wir jetzt immer noch gewaltig Miese machen. Fast 2,1 Millionen Euro im Ergebnishaushalt, und gute 1,8 Millionen im Finanzhaushalt bleiben unter dem Strich stehen.

Und nur, weil wir jetzt ein paar ungeplante Rücklagen ‚rausgekitzelt‘ und uns die nächsten Jahre so prächtig schöngerechnet haben, glauben Sie, dass wir auf den gesamten Zeitraum von 2020 bis 2025 einen Ausgleich erreichen werden.

In diesem Jahr, im jetzt vor uns liegenden Haushalt, haben wir als Stadtverordnetenversammlung selbst überhaupt nichts verändert.

Und das, obwohl uns der Landrat auf 3 Seiten Hinweise gibt, wie wir die Haushaltslage verbessern – und die Zahlen belastbarer machen – können.

Aufgegriffen haben Sie davon: nichts.

Und das heißt, wenn man es präzise zusammenfasst:

wir haben unsere Hausaufgaben nicht gemacht, wir schreiben die Nachholklausur genauso schlecht vorbereitet wie die erste.

Wir hoffen nur, dass das Wetter etwas besser ist, und die Lehrer*innen bei dieser Korrektur bessere Laune haben.

Das zeigt mal wieder in Reinform, wie hier in Dillenburg Politik gemacht wird: mit Hoffen und Wünschen, aber nicht mit Rechnen.

Sie wollen viel, aber sagen uns – wie immer – nicht, wie das bezahlt werden soll.

Wir als GRÜNE Fraktion haben in der letzten Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses eine Reihe von Änderungsanträgen vorgelegt, die den Haushalt aus unserer Sicht besser, transparenter und vor allem belastbarer gemacht hätten.

Aber die schon seit mehr als einem Jahr fest stehende Mehrheit aus CDU, AfD und Bürgern für Dillenburg war sich da schon im Vorfeld sicher:

Wir probieren gar nicht erst, den Haushalt auszugleichen, wir probieren es lieber nochmal mit der Nachsicht der Kommunalaufsicht.

Vielleicht geht der Haushalt ja dieses Mal durch. Mit den schön gerechneten Zahlen für die nächsten Jahre könnte es ja diesmal funktionieren.

Kein einziger Änderungsantrag – außer unseren, die –wie wir wissen – allesamt abgelehnt worden sind – kein einziger Änderungsantrag wurde von Ihnen gestellt, kein einziger Diskussionsbeitrag – außer der Ankündigung des eigenen Abstimmungsverhaltens – wurde vorgetragen.

In dieser Ausschusssitzung waren wir gefühlt allein im Raum.

Selbst die in Dillenburg oft so stolze CDU, stärkste Fraktion im Haus, hatte und hat nichts zum Haushalt zu sagen.

Das finde ich schon sehr bemerkenswert.

Und auch aus dem Kreis der geneigten Sozialdemokratie, lieber Kollege Werner, kam dann lediglich der Hinweis, man habe sich Einspar-Vorschläge Seitens der Verwaltung gewünscht.

Ich kann Ihnen – liebe Kolleginnen und Kollegen – da nur zurufen:

Wir als Stadtverordnetenversammlung sind der Souverän in dieser Stadt – wir haben das Budgetrecht; wir müssen uns nichts wünschen, wir können es selbst tun.

Aber offensichtlich hat eine große Anzahl von Ihnen und euch hier im hohen Hause hat offenbar gar kein Interesse daran, dieses Recht auszuüben und wahrzunehmen.

Für die Zukunft kann ich uns allen deshalb nur wünschen, dass wir – gerade weil wir unterschiedliche Vorstellungen über den für unsere Stadt richtigen Weg haben – wieder miteinander streiten lernen.

Ich bin schon seit vielen Jahren Mitglied in dieser Stadtverordnetenversammlung, und habe in den Anfängen der Grünen viele, teils heftige Debatten, Streitgespräche und kontroverse Diskussionen erlebt.

Was ich damals nicht erlebt habe ist, dass versucht wurde, Probleme durch Schweigen und Aussitzen zu lösen.

Dieses für mich neue Verhalten stärkt aus meiner Sicht nur diejenigen, die überhaupt kein Interesse an Argumentation haben, die Politikverdrossenheit predigen.

Ich schließe diese Haushaltsrede mit dem gleichen Zitat wie Kollege Jung das im vergangenen Dezember getan hat, weil es nach wie vor treffend beschreibt, was hier gleich – mal wieder muss ich leider sagen – passieren wird:

Heute vor zehneinhalb Jahren hat unser damaliger Fraktionsvorsitzender Bernhard Klement in seiner Haushaltsrede gesagt: „Seit Jahren warnen die Grünen davor, die städtische Haushaltslage durch Investitionen in stets neue Prestigeobjekte zu verschärfen. Seit Jahren warnen die Grünen davor, dass die Stadt Dillenburg weit über ihre Verhältnisse lebt.“ Zitat Ende.

Heute, 10 Jahre später, ist das aktueller denn je, ist der finanzielle Übermut, den wir von Ihnen erleben müssen, größer denn je.

Wir Grüne werden uns weiterhin nicht daran beteiligen.

Wir werden auch in Zukunft mit aller Kraft darauf drängen, dass wir, dass Sie endlich lernen, mit dem Geld der Dillenburger Bürger*innen auf lange Sicht seriös umzugehen.

Und wir werden die Hoffnung nicht aufgeben, dass noch mehr Fraktionen in diesem Haus einsehen, dass es ein ‚Weiter-So‘ nicht mehr geben kann – und darf.

Die Mehrheiten dafür könnten schon jetzt da sein. Wirklich mutig, wirklich weitsichtig wäre es deshalb, sich uns anzuschließen.

Wir jedenfalls werden auch diesem Haushalt für das Jahr 2022 nicht zustimmen.

 

Knut Letzel in Vertretung